Noch nie hat sich unser berufliches Umfeld so rasant weiterentwickelt wie in dieser Phase des ungebremsten technologischen Fortschritts. Da stellt sich die erste Frage: Wie haben sich der Zahnarztberuf und der Markt der Zahnmedizin im Lauf der letzten zehn bis zwanzig Jahre entwickelt?
Behandlungsphilosophie, Technik und Marktorganisation sind drei zentrale Aspekte des Zahnarztberufs, die sich in den letzten zwanzig Jahren deutlich verändert haben.
Zuerst einmal ist eine Entwicklung hin zu weniger invasiven und weniger aggressiven Behandlungsansätzen nach dem Motto «less is more» zu erkennen. Die Behandlungsindikationen werden restriktiver und nicht selten ist einfaches Unterlassen die beste Option.
Zum Zweiten ist natürlich der technische Aspekt zu berücksichtigen. In 20 bis 30 Jahren haben sich die Dinge zwangsläufig stark verändert und der Einsatz digitaler Technologien hat deutlich zugenommen.
Nehmen wir beispielsweise die Digitalisierung in der Zahnmedizin wie die digitale Radiologie und den «digitalen Workflow». Hiermit ist es möglich, eine Restauration von A bis Z ausschliesslich mit digitalen Mitteln durchzuführen. Beachtliche Fortschritte werden auf dem Gebiet der adhäsiven Restauration und natürlich der Implantologie (Zahnimplantate) erzielt.
Schliesslich beobachten wir eine umfassende Entwicklung bei der Organisation des «Marktes». Der Trend geht zum Zusammenschluss von Praxen und praktizierenden Zahnärztinnen und Zahnärzten. Darüber hinaus entstehen grössere Strukturen wie Kliniken und medizinische Zentren, in denen Zahnärztinnen und Zahnärzte als Mitarbeitende tätig sein können.
Haben sich die Patientenbedürfnisse gleichzeitig ebenfalls entwickelt?
Genau wie im Bereich der Allgemeinmedizin verändern sich die Patientenbedürfnisse auch auf dem Gebiet der Zahnmedizin. Die Patientinnen und Patienten erwarten von uns eine offene Kommunikation und die Fähigkeit, Informationen verständlich zu vermitteln. Die Patientin oder der Patient hat ein grosses Mitspracherecht bei der Wahl der vorgeschlagenen Behandlungen und ist nicht der medizinischen Allmacht unterworfen.
Kennzeichnend für unseren Bereich im Vergleich zur Medizin, vor allem in der Schweiz, ist ein echtes Kostenbewusstsein, denn die Patientin oder der Patient zahlt. Das hat Einfluss auf die Haltung und die Beziehung zum Zahnarzt. Sie oder er entscheidet ganz klar mit, nicht nur bei der Therapie, sondern auch in wirtschaftlichen Fragen – das finde ich persönlich äusserst positiv. Aber andererseits hat sich das Vertrauensverhältnis nicht grundsätzlich verändert und bleibt ein zentraler Aspekt unseres Berufs.
Verstärkt zu beobachten ist schliesslich eine weitere Tendenz, die positiv sein kann, aber mit einem Risiko verbunden ist: die deutliche Zunahme der medizinisch nicht notwendigen Behandlungen im Bereich der Zahnästhetik. Die bekanntesten Beispiele sind das Zahnbleaching, Keramikveneers sowie gewünschte Aligner-Behandlungen ohne medizinische Indikation.
Liegt der gestiegenen Nachfrage nach solchen Behandlungen ein echter Bedarf zugrunde oder ist sie eher als Trend zu betrachten?
Zahnästhetische Behandlungen auf Wunsch von Patientinnen und Patienten haben eine kommerzielle Dimension, was auch für die ästhetische Medizin gilt. Der medizinische Aspekt bleibt aber bestehen und setzt eine ethische Haltung und eine gewisse Zurückhaltung voraus. Manche Vorstellungen sind aus wirtschaftlichen oder morphologischen Gründen schwer zu erfüllen. In diesem Bereich ist gelegentlich eine übermässige Kommerzialisierung zu beobachten.
Es liegt in der Verantwortung der Zahnärztin oder des Zahnarztes und der Berufsverbände, die Öffentlichkeit über die Möglichkeiten und die Gefahren zu informieren, die mit bestimmten ästhetischen Behandlungen verbunden sind. Wenn die Patientinnen und Patienten informiert sind, haben sie die freie Wahl. Nicht alle derartigen Behandlungen sind riskant, aber einige können die Zähne schädigen.
Ein Beispiel sind Reisen an Orte, die für zahnärztliche Behandlungen mit so genannten «Facetten» bekannt sind. Hierbei handelt es sich aber eher um Kronen. Diese äusserst aggressiven Behandlungen könnten sogar als Zahnverstümmelungen betrachtet werden, denn sie zerstören die Zähne endgültig. Ich ermutige die Zahntouristinnen und -touristen wirklich zu grösster Vorsicht und empfehle, mit ihrer Zahnärztin oder ihrem Zahnarzt zu sprechen, bevor sie Behandlungen dieser Art durchführen lassen.
Entstehen durch diese Veränderungen des Marktes und der Patientenwünsche bestimmte Herausforderungen?
Ein wettbewerbsintensives Umfeld sowie der wachsende Trend zur Spezialisierung oder Subspezialisierung in zunehmend komplexeren Bereichen sind Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Weitere grosse Herausforderungen sind die Schnelligkeit, mit der sich die technologischen Entwicklungen und die Digitalisierung vollziehen, sowie jetzt das Aufkommen der künstlichen Intelligenz (KI) in der Zahnmedizin.
Ausserdem beobachten wir einen immer höheren Verwaltungsaufwand mit einem Gefühl der Überregulierung. Wir versuchen, dagegen anzukämpfen, aber sie besteht in allen Metiers und insbesondere in den freien Berufen. Für praktizierende Zahnärztinnen und Zahnärzte, die mit diesen Anforderungen zum Beispiel in den Bereichen Qualitätskontrolle, Strahlenschutz, Lernendenausbildung, Datenschutz oder Lagerhaltung chemischer Produkte konfrontiert sind, bedeutet dies eine übermässige Belastung. Es liegt in der Verantwortung der Berufsverbände, ihre Mitglieder vor diesen manchmal überzogenen Entwicklungen zu schützen oder sie zumindest zu unterstützen.
Hat diese Überregulierung Konsequenzen für die Konsolidierung des Marktes?
Für einige Kolleginnen und Kollegen insbesondere der jungen Generation kann diese Überregulierung ein Aspekt sein, der sie von der Gründung einer eigenen Praxis abhält. Von dem Teil der Kolleginnen und Kollegen, die sich eher am Ende ihrer Karriere befinden, wie ich selbst im Übrigen auch, höre ich ausserdem die klassische Erklärung: «Ich bin froh, dass ich in den Ruhestand gehe, denn jedes neue Jahr bringt wieder neue Reglementierungen und neue Belastungen».
Für Zahnärztinnen und Zahnärzte kann dies durchaus ein Anlass sein, in eine grössere Struktur einzutreten, von der sie sich Unterstützung erhoffen, oder sich zusammenzuschliessen, um den Aufwand für die Administration zu teilen.
Abgesehen von diesen Herausforderungen kann ich mir vorstellen, dass die europäische Konkurrenz in der Grenzregion eine zusätzliche Schwierigkeit darstellt. Welche Vorteile haben die in der Schweiz praktizierenden Zahnärztinnen und Zahnärzte, um sich diesem Wettbewerb zu stellen?
Dieser Wettbewerb besteht sowohl auf dem schweizerischen Inlandsmarkt als auch in den Grenzregionen aufgrund der Personenfreizügigkeit und der automatischen Anerkennung der Diplome. Im Übrigen zeichnen sich die Zahnärztinnen und Zahnärzte in der Schweiz durch ihr Interesse an Prophylaxe und die hervorragende Zahnarztausbildung sowie durch die gesetzlich vorgeschriebene Weiterbildung aus. Den Patientinnen und Patienten bietet dies eine hohe Sicherheit.
Das Schweizer Zahnarztsystem ist in der Mehrzahl der Fälle gekennzeichnet durch eine direkte Interaktion zwischen der Patientin oder dem Patienten und der Zahnärztin oder dem Zahnarzt ohne Intervention eines Dritten –Staat oder obligatorische Versicherung. Daraus entsteht eine grosse Freiheit bei der Wahl des Behandlungsplans. Diese Berufskultur hat einen starken Einfluss auf unsere Tätigkeit.
Die Zahnärztinnen und Zahnärzte unseres Landes sind dafür ausgebildet und daran gewöhnt, ihren Patientinnen und Patienten die für ihre Bedürfnisse am besten geeignete Behandlung zukommen zu lassen und dabei auch die wirtschaftliche Dimension zu berücksichtigen. Ich wage zu behaupten, dass dieser sehr schweizerische Ansatz «nach Mass» einen Wettbewerbsvorteil darstellt, den viele unserer Patientinnen und Patienten kennen und zu schätzen wissen.
Die Tatsache, dass sie aus der eigenen Tasche bezahlen, kann natürlich auch ein Hindernis für die Behandlung sein. Es ist Sache der Zahnärztinnen und Zahnärzte, weniger kostspielige therapeutische Alternativen vorzuschlagen und Ratenzahlungspläne anzubieten, so dass die Patientinnen und Patienten die nötige zahnärztliche Behandlung erhalten können. Die Zahnärztekasse leistet hier ganz unkompliziert Unterstützung.
Wir haben über die Entwicklung des Berufs in den letzten Jahren und seinen aktuellen Zustand gesprochen. Wo sehen Sie ein Potenzial für die zukünftige Berufsentwicklung?
Der zunehmende Wunsch nach Teilzeitarbeit und einer besseren Work-Life-Balance sind Trends, die in unserem Beruf sehr häufig zu beobachten sind. Dies steht insbesondere, aber nicht allein, mit der deutlichen Feminisierung des Berufs im Zusammenhang, die derzeit feststellbar ist.
Dadurch können Partnerschaften oder Zusammenschlüsse und somit die Teilung der Zeitpläne und die gemeinsame Nutzung der technischen Einrichtungen und der unterschiedlichen Kompetenzen gefördert werden. Weiteres Entwicklungspotenzial bieten die Digitalisierung in den Bereichen Therapie und Administration und der zunehmende Einsatz von KI in der Zahnmedizin.
Wie betrachten Sie die Einführung der KI im zahnmedizinischen Alltag?
Zu den eindrucksvollsten Anwendungen der KI im Bereich der Zahnmedizin wie in der Allgemeinmedizin gehört die Bilddiagnostik. Es gibt bereits KI-Systeme, die in der Lage sind, Röntgenaufnahmen zu analysieren und Karies nachzuweisen. Eine der künftigen KI-Anwendungen in der Medizin ist der Einsatz von generativer KI (nach dem Vorbild von ChatGPT), die Arztberichte in Echtzeit während der Sprechstunde erstellen kann.
Natürlich kann KI keine Diagnose anstelle von Ärztinnen, Ärzten, Zahnärztinnen oder Zahnärzten stellen und wird auch nicht an therapeutischen Entscheidungen mitwirken, aber sie kann trotzdem eine grosse Hilfe bei mehr oder weniger monotonen Aufgaben sein.
Ein weiterer Aspekt, bei dem KI bereits in naher Zukunft hilfreich sein könnte, ist die Organisation der Zahnarztpraxis; vorstellbar wären eine automatische Erfassung von Leistungen und Honoraren sowie die Automatisierung bestimmter Aufgaben.
Wie können kleine Zahnarztpraxen und Selbstständige mit diesem sehr schnellen Tempo und der Dynamik der Entwicklung Schritt halten?
Das ist ein schwieriger Punkt. Es müssen jedoch nicht alle Entwicklungen zwangsläufig mitgemacht werden. Wir können weiterhin gute Zahnmedizin mit klassischen Techniken praktizieren und zum Beispiel Abdrücke nicht mit einem Scanner, sondern mit den bisherigen, bewährten Methoden nehmen.
Wie überall sind auch in unserem Bereich Weiterentwicklungen unumgänglich. Wer jedoch nicht immer ganz vorn dabei sein und hektisch dem neuesten Fortschritt folgen muss, kann die technologischen Entwicklungen zu angemessenen Kosten gelassen begleiten und zuerst sehen, ob diese neuen Technologien sich auszahlen. Für die Entwicklung der Praxis ist zudem konsequentes Praxis-Management sehr wichtig.
Bei all den diskutierten Fortschritten, wie würden Sie die Zahnarztpraxis der Zukunft beschreiben und wie würde sie sich von den aktuellen Modellen unterscheiden?
Meiner Meinung nach werden wir in den nächsten 20 Jahren weiterhin eine Entwicklung der Behandlungsphilosophie sowie einen konstanten medizinischen Fortschritt sehen. Die technische Entwicklung im Bereich Digitalisierung oder KI wird weitergehen. Darüber hinaus werden wir wissenschaftliche Fortschritte wie das «Tissue Engineering» erleben, das die Produktion biologischer Gewebe in der Kultur und sogar die Herstellung von vollständigen und lebensfähigen Zahnorganen (Zähne und unterstützende Gewebe) ermöglichen wird. Die Implantologie wird dabei an Bedeutung verlieren.
Im Übrigen wird die geriatrische Zahnmedizin im Zuge der demografischen Entwicklung ein wesentlicher Bestandteil unserer Tätigkeit sein. Die Herausforderungen, insbesondere in Verbindung mit dem physischen oder psychogeriatrischen Zustand der Patienten, sind erheblich, aber um die ältere Bevölkerung und letzten Endes um uns selbst muss sich in irgendeiner Form gekümmert werden.
Ein Bereich, in dem ich in den nächsten Jahren keine grossen Veränderungen sehe, ist die Praxisorganisation oder -struktur. Die jungen Absolventinnen und Absolventen haben zwar grössere Wahlmöglichkeiten zwischen selbstständiger Tätigkeit in eigener Praxis, Zusammenschluss mit Kolleginnen und Kollegen oder grosser Struktur, aber Funktionsweise und Strukturierung der Zahnarztpraxen oder Zahnkliniken werden relativ unverändert bleiben.
Zum Abschluss: Haben Sie Ratschläge für Ihre Kolleginnen und Kollegen, die sich auf ihre Selbstständigkeit vorbereiten?
Jede Zahnärztin und jeder Zahnarzt, die oder der eine eigene Zahnarztpraxis eröffnen will, darf vor allem eines nicht vergessen: Natürlich stehen die Interessen und Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt ihres oder seines Handelns, aber eine Zahnarztpraxis ist ein Unternehmen, dessen wirtschaftlicher Erfolg wichtig für seinen Fortbestand, aber auch für die persönliche Zufriedenheit der Zahnärztin oder des Zahnarztes ist.
Es ist kein Tabubruch, wenn man sagt, dass die Praxis genügend Ertrag bringen muss, um die Mitarbeitenden zu bezahlen, in Weiterbildung und Technologie zu investieren, eine angenehme und hygienische Infrastruktur für die Patientinnen und Patienten zu schaffen und ihnen eine gute Behandlungsqualität zu bieten und eine leistungsfähige, IT-gestützte Verwaltungsstruktur aufrecht zu erhalten.
Das Management einer Zahnarztpraxis erfordert ein erhebliches persönliches Engagement, vor allem mit der Zunahme der administrativen Anforderungen und des organisatorischen Aufwands. Es ist sehr schwer, das alles allein zu bewältigen. Daher wird dringend empfohlen, sich von kompetenten Personen oder Organisationen helfen zu lassen oder sogar bestimmte Aufgaben wie Rechnungserstellung, Personalverwaltung und Terminplanung gegebenenfalls an externe Dienstleisterinnen und Dienstleister zu vergeben.
Ausserdem ist es wichtig, einen angemessenen Tarif anzuwenden und die Kosten unter Kontrolle zu halten. Dies gilt insbesondere für die Personalkosten, die die grösste Position darstellen.
Schliesslich ist es von fundamentaler Bedeutung, eine gute Arbeitsumgebung zu schaffen, in der zugehört wird und die von Ermutigung und ständiger Kommunikation sowie von Gleichbehandlung innerhalb des Teams und vorbildlichem Verhalten geprägt ist. Das ist der Schlüssel für die Stabilität des Personals, die die Patientinnen und Patienten so schätzen.
Vergessen wir nicht: Es geht darum, sich den eigenen Enthusiasmus und das Engagement während der gesamten beruflichen Laufbahn zu erhalten, in der zwangsläufig mehr oder weniger schwierige Phasen oder sogar Belastungsproben auftreten. Es ist entscheidend, das persönliche Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Und das ist manchmal leichter gesagt als getan.